Ist Strafe im Hundetraining wirklich schlecht und böse?

Strafe im Hundetraining wird oftmals abgelehnt. Vielen Hundehaltern ist nicht mal klar, was eigentlich positive Strafe und negative Strafe sind (und auch nicht was eine negative Verstärkung ist) und – zugegeben – das ist auch schwieriger da zu durchsteigen. In der Praxis hat das Wissen darüber meiner Meinung nach recht wenig Relevanz. Wir befinden uns schließlich nicht im Labor oder im Versuchsaufbau mit unseren Hunden. Außerdem treten verschiedene Verstärkungs- und Strafzustände oftmals gleichzeitig auf – woher will man wissen was das Hundegehirn gerade wie bewertet? Es ist deshalb meiner Meinung nach besser, man diskutiert nicht über solche abstrakten Konstrukte wenn es nicht wirklich notwendig ist.
Im Alltag rede ich von Belohnung und Hemmung von Verhalten (manchmal auch von aversivem Unterbrechen). Diese Sichtweise erfasst natürlich nicht alle Alltagssituationen die z.B. beim Training mit einem ängstlichen Hund auftreten. Das macht aber nichts,  weil es praktisch beim Erlernen von neuem Verhalten  überwiegend um Belohnen und Hemmen geht.

Nichts desto trotz möchte ich im Laufe des Artikels weiter von Strafe schreiben um eine Verbindung zu anderen Ausführungen im Internet herstellen zu können.
Ich lege das Thema hier auch nur auf Basis meiner persönlichen Beobachtung dar – also ich rede aus meiner eigenen Erfahrung.

Strafe hat Nachteile – stimmts?

Oft wird auf verschiedenen Webseiten groß und breit aufgerollt, warum Strafe im Training nicht genutzt werden sollte. Es wird z.B. aufgezählt, dass Strafen Frust auslösen können, Strafen Stress auslösen können, Strafen in ihrer Intensität gesteigert werden müssen, perfektes Timing gefordert wird, man warnen muss weil der Hund sonst Stress bekommt,  die Beziehung zwischen Mensch und Hund gar leidet und der Hund unkooperativ wird und so weiter und so fort.
Das stimmt alles. Aber das passiert meiner Meinung nach nur wenn man nicht weiß was man macht und völlig unreflektiert versucht irgendwie unerwünschtes Verhalten durch Hemmen in Bahnen zu lenken oder zu unterdrücken.
Übrigens gibt es auch erhebliche Nebenwirkungen die auftreten können, wenn man versucht nur mit Belohnung von erwünschtem Verhalten durchs Leben zu kommen – das ist aber nicht Gegenstand dieses Artikels (vielleicht schreibe ich dazu ein anderes Mal was).

Zudem  muss auch erwähnt werden, dass der Einsatz eines Strafreizes sehr von dem jeweiligen Hund abhängt. Manche Hunde brechen bei manchen Einwirkungen völlig zusammen und andere bleiben völlig unberührt und ungehemmt. Das hängt stark von dem jeweiligen Charakter und teilweise(!) auch von der Rasse ab.

Strafe hat Vorteile – stimmt auch!

Was Strafe hat wirklich Vorteile? Ja Strafe hat Vorteile. Wenn man unerwünschtes Verhalten unter den richtigen Voraussetzungen, mit dem richtigen Timing und der richtigen inneren Einstellung (hier meine ich nicht aus Wut oder mit Rachegelüsten) straft wird das Verhalten meiner Beobachtung nach schnell nicht mehr gezeigt. Dafür wird gelerntes und abgefragtes Alternativverhalten gezeigt.
In manchen(!) Fällen ist Problemverhalten damit auch schneller in Griff und der Leidensweg für Halter und Hund ist verkürzt.

Die richtigen Voraussetzung für Strafe: Fairness!

Wie passt Fairness zum Strafen? Wie oben erwähnt wird mit Strafen Verhalten gehemmt oder unterbrochen. Wenn man auf einen überkochenden Nudeltopf einen Deckel drauf macht, kommt allerdings irgendwann die Suppe an den Seiten raus. So ist das auch mit unerwünschtem Verhalten, was einfach nur gedeckelt oder gehemmt werden soll. Es kann (und wird vermutlich auch) passieren, dass das unerwünschte Verhalten nicht mehr offensichtlich auftritt, dafür aber anderes unerwünschtes Verhalten gezeigt wird.
Man müsste also den Topf vorher erst mal von der Platte ziehen.
Für den Hund bedeutet das, dass er vorher gelernt hat, was er machen kann/soll. Zudem muss der Halter auch auf das aktuelle Errgungsniveau des Hundes achten.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Fuß laufen an der kurzen Leine hat der Hund mittels viel Belohnung und zuverlässig erwartbarem Verhalten durch den Halter gelernt. Das heißt, dass der Halter z.B. den Hund immer auf die gleiche Weise an kurzer Leine geführt hat, das Angucken des Halters belohnt hat, das Laufen vor dem Halter nicht belohnt hat, das Laufen neben dem Halter auf Beinhöhe belohnt hat, das Abwenden von Reize belohnt hat und so weiter – der Gedanke ist hoffentlich klar. Der Hund hat also über ein paar Monate in vielen verschiedenen Situationen gelernt, was es bedeutet, Fuß an der Leine zu laufen und das Verhalten kann zufriedenstellend gezeigt werden.

Nun wirkt die Umwelt (Düfte oder andere interessante Dinge) auf verschiedene Hunde verschieden ein – auch gegen dieses „an der Leine laufen“. Manche Hunde sind weniger interessiert daran Umweltreizen in der Situation zu folgen und der Blickkontakt des Halters wirkt für sie belohnend. Andere Hunde dagegen interessieren sich für die Gerüche vor ihnen deutlich mehr.

Ist der Hund also stärker an der Umwelt interessiert und neigt dazu, vor dem Halter zu laufen ist in die Situation gut, mittels Strafe, einzugreifen. Hier kann man z.B. mit einem gezielten Ruck an der Leine in genau dem Moment (sehr wichtig!) in dem der Hund die Füße überholt für eine Hemmung genau dieses Verhaltens sorgen. Gleichzeitig wird weiter richtiges Verhalten belohnt. Der Halter muss genau beachten, wie der Hund ich verhält. In keinem Fall sollte gestraft werde, wenn der Hund aus Angst vorwärts läuft oder weil er aufgeregt zu einem anderen Hund hin will etc.
Man versteht, dass die Voraussetzungen komplex sind. Es ist aber durchaus zu schaffen – man muss wissen was man macht und eine gewisse Erfahrung haben sowie seinen Hund gut kennen.

Fairness bedeutet in dem Zusammenhang, dass der Hund für nichts gehemmt wird bei dem er kein Alternativverhalten gelernt hat. Es ist nicht angebracht noch die richtige Vorgehensweise ein Verhalten dem Hund über Hemmen bzw Strafen beizubringen – das geht komplett in die Hose und führt zu viel Frust und Ärger bei Hund und Halter. Zur Fairness gehört auch, dass man konsequent ist – es geht nicht, dass man Verhalten einmal zu lässt und einmal straft – je nach Laune. Das führt zur Verunsicherung beim Hund. Fairness bedeutet auch, Strafen, wenn möglich, Anzukündigen. Ein „naaa“ vor einem Leinenruck, gibt dem Hund eine Vorwarnung um der möglichen Strafe auszuweichen indem schon erlerntes Verhalten gezeigt wird.

Es ist auch das erklärte Ziel eine Verhaltenshemmung nicht ewig durchzuführen. Irgendwann muss der Hund verstanden haben, was ich von ihm will und dann kann die Frequenz des Strafens runter gedreht werden weil das unerwünschte Verhalten fortschreitend immer weniger gezeigt wird. Es gibt schlicht kaum noch die Notwendigkeit zu strafen. Wenn das nicht passiert macht man durchaus was falsch und man muss sein Trainingsaufbau zwingend überdenken.
Was übrigens passiert wenn man unkoordiniert straft, sieht man bei unserem Kotfressproblem (Ganz runter scrollen)

Negative Auswirkungen – das habe ich beobachtet.

Obig beschriebenes Beispiel habe ich, noch etwas umfangreicher, selbst durch geführt (sonst könnte ich hier nicht davon schreiben).
Vorweg – meinem Hund geht es wunderbar und das von mir gewünschte Verhalten entspricht fast komplett meinen Vorstellungen. Ich habe keine Verschlechterung der Beziehung zu meinem Hund fest gestellt – mein Hund liebt mich weiterhin und vertraut mir. Mein Hund weiß genau, wenn ich die Leine mir in einer bestimmten Weise umgehangen habe, wie er zu laufen hat. Am Anfang war er auf jeden Fall gestresst und gähnte, die Ohren waren nach hinten gelegt und er war gehemmt. Nach ein paar Übungseinheiten hat sich das gelegt. Die Dosierung der Strafe muss nicht zwingend gesteigert werden – der Hund bleibt sensibel. Die besprochenen Leinenrucks sind recht soft aber kommen wie beabsichtigt im Hundehirn an.

Die Strafe verunsicherte meinen Hund auch nicht. Der wusste sehr schnell bei „Zuckerbrot und Peitsche“-Taktik wie der Hase läuft. Strafe muss nicht immer angekündigt werden aber in verschiedenen Situationen hilft eine Warnung durchaus die die Strafe komplett zu vermeiden. Gerade wenn der Hund das Alternativverhalten vorher schon kennt (also es nicht erst abgefragt werden muss) wird er sich auf das „zurückziehen“ um so auf der „sicheren“ Seite zu sein und die Strafe zu vermeiden. Das Erregungsniveau wird auch nicht gesteigert da der Hund Alternativverhalten kennt und sich nicht aufgeregt werden muss da er keine schnelle Möglichkeit zur Strafvermeidung kennt. Das Erregungsniveau steigt meiner Meinung nach nur durch Unsicherheit in Bezug darauf, was „sicheres“ Alternativverhalten bedeutet.

Verhalte ich mich unethisch?

Nein verhalte ich mich nicht. Warum kann ich das so sagen? Weil mein Hund nicht in Situationen geführt wird, in denen er nur versagen kann. Mein Hund wird durch die angewendeten Strafen auch nicht geschädigt (nicht psychisch und schon gar nicht physisch). Ich Strafe im Training auch möglichst unemotional womit ich die Selbstkontrolle über die Intensität und das Timing der eingesetzten Strafe behalte.

Es gibt noch die Argumentation, dass ich mich deswegen unethisch Verhalten könnte weil der Hund sich meinen Wünschen recht unfreiwillig anpassen muss um nicht gestraft zu werden. Das stimmt – er muss sich unfreiwillig anpassen. Aber damit habe ich persönlich kein Problem. Ein Hund ist kein Wildtier sondern domestiziert, er lebt freiwillig und auch zwangsweise beim Menschen und damit unterliegt er auch Zwängen ebenso wie er viele Vorteile davon hat.

Unethisch wäre wenn man unfair wäre (s.o.)

Abschließende Einschätzung

Meiner Meinung nach ist das Thema Strafe zu unrecht völlig emotional besetzt. Dadurch werden objektive Diskussionen darüber unmöglich. Allein schon, dass ich mich hier im Artikel bezüglich des ethischen Gesichtspunktes zu einer Rechtfertigung genötigt sah, zeigt die Dimension des Themas. Wenn man in manchen Foren erwähnt, wie man Strafe richtig anwendet, gibt es gleich eine Horde von Schreiberlingen die einem pauschal unterstellen, man wüsste nicht was man macht oder würde gar tierschutzrelevant agieren. Da sind auch wissenschaftliche Belege zu dem Thema völlig unerheblich weil diese übergangen werden. Auch Erfahrungen werden schlicht unbeachtet gelassen denn es kann nicht sein was nicht sein darf (zumindest in dem Weltbild mancher). Zugegeben es gibt jede Menge Negativbeispiele an die man jedes mal erinnert wird, wenn man irgend einen Hundehalter an seinem Hund unkoordiniert rum rucken sieht weil dieser bellt, nicht richtig läuft, den Kopf dreht oder wegen was auch immer. Das bedeutet nicht das Strafe oder Verhaltenshemmung ein ungeeignetes Trainingswerkzeug ist und vermieden gehört. Man muss meiner Meinung nach lediglich vermeiden kopflos drauf los zu hemmen. Kopflos zu arbeiten ist, egal wie man arbeitet, völlig kontraproduktiv.

Mein Vorzugsweg Probleme zu lösen ist und bleibt eine gute Beziehung zum Hund um eine Konstante und Orientierungsmöglichkeit für den Hund darzustellen, viel Belohnung und jede Menge Wissen und Beobachtung – erst als aller letztes hemme ich Verhalten und da auch nur wo es wirklich im Alltag relevant ist.

Gerade aus verhaltenswissenschaftlicher Richtung zeichnet sich kein Trend ab, Strafen den ungebührlichen Platz einzuräumen, den sie bei manchen Zeitgenossen hat. Strafen haben ihren Platz und sind nützlich aber genau wie mit einer Säge oder Axt muss man damit umgehen können ansonsten können sie durchaus Schaden anrichten.

Noch ein kleiner Hinweis: Ich möchte zu dem Thema keine Diskussion weshalb die Kommentarfunktion abgeschaltet ist in diesem Fall. Ich habe keine Lust mir Argumente anzuhören die ich schon 100 Mal lesen durfte, die teilweise falsch sind oder aus einem Weltbild resultieren das ich nicht teile. Ich tausche mich in dem Fall nur mit Leuten aus bei denen ich weiß, dass sie wissen von was sie schreiben oder reden.

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